Sabotage...
Jean-Luc hatte es satt. So sehr satt. Er mochte den Spieß umdrehen. Er mochte sich weigern. Was immer Q von ihm verlangte, er wollte in genauer Umkehrung davon handeln. Sein Tun würde dem Mächtigen ein Schlag ins Gesicht sein. Denn bei allen Waffen, die man gegen jenen hätte richten können, die wie der Tropfen auf den heißen Stein wirklungslos verdampft wären, gab es nur eine, die hart und scharf genug war, ihn zu bedrängen. Picards freier Wille.
Q hatte ihn vor eine Art Weltgericht gezerrt, mehrfach - ein angeblich niemals endendes Verfahren anstrengend - hatte versuchte, seinen ersten Offizier zu korrumpieren, hatte sich ihm gegenüber als Gott aufgespielt, ihn um Errettung flehen lassen vor den Borg, ihn als Robin Hood lächerlich gemacht, eine Farce veranstaltet nach der anderen, ihn gepiesakt, gedemütigt, für unmündig befunden, getadelt, verachtet, verhöhnt. Wieder und wieder.
Sabotage, ja, Sabotage!
Ach, Merde...
Ehrliches Bedauern überkam ihn. Zu stur war der Mächtige, zu unnahbar. Es gab doch soviele lohnenden Fragen, Rätsel, die Q zweifellos zu lösen imstande war. Welche Weisheit besaß er zu den großen Fragen, die sich jedes Volk und jedes Individuum des Universums stellte, zu denen weder Wissenschaft noch Theologie Antwort bot? Woher rührte sein ausgeprägtes Interesse an der Menschheit? Woher seine Fixierung auf die Enterprise... und auf Picard?
Als Forscher umtrieb den Captain das Unbekannte. Er trachtete danach, Licht zu bringen in das Dunkel zwischen den Sternen. Als Diplomat zählte der Kontakt mit neuen Lebensformen zu seinen Leidenschaften, die schier unendliche Vielfalt der Kulturen zu friedlicher Koexistenz zu geleiten, zu seiner größten Hoffnung.
Warum dann also? Warum nur mußte ausgerechnet die faszinierendste und am weitesten entwickelte Lebensform, der er je begegnet war, gleichzeitig jene sein, die ihn in am derbsten nervte?
„Mister Fillon!“
Picard gebot sich für einen Moment Einhalt. Hatte Qs Verhalten nicht zu seltenen, aber umso erhabenderen Gelegenheit sogar ehrliche Achtung und Dank verdient?...
„Ich rede mit ihnen, Mister Fillon. Sind sie bei Sinnen?"
Und wenn schon! Verpflichtete ihn ein flüchtiger Dank etwa dazu, jedes erdachte Puppentheater des Mächtigen mitzuspielen wie ein alberner Guignol*? Nein, sicherlich nicht! Viel näher lag ihm ein weiteres Wort französischen Ursprungs.
Sabotage...
* französische Version des Kasper
Mit viel Schwung betrat die Gruppe das Auditorium und nahm seinen Platz ein. Wenn das Publikum in der vergangenen halben Stunde ungeduldig oder sogar ungehalten geworden war, so bemerkte man jetzt nichts mehr davon. Es bedachte das Ensemble mit einem herzlichen Willkommensapplaus. Die Ehre, dass ausgerechnet Admiral Black für sie spielte, trug zur Stimmung maßgeblich bei.
Meine Güte...
Rikers Blick streifte über die Zuhörerschaft. Es war seine Crew. Es waren gute, stolze Frauen und Männer, in deren Gesichter sich ein Enthusiasmus wiederspiegelte, der Rikers in diesem Moment nicht nur auf die Vorfreude des Konzertes bezog, sonder auf die Einmaligkeit ihrer gesamten Mission. Zum ersten Mal seit langer Zeit empfing er das unbändige Pulsieren von wahrem, unbändigem Pioniergeist. Ein wohliger Schauer überkam ihm.
Sekunden später spürte Riker einen heftigen Stich. Mit schmerzhafter Intensität wurde er an den unweigerlichen Fakt erinnert, das viele dieser jungen Menschen bald ihrem Tod entgegensehen sollten. Wehmut trübte seinen Verstand, und er schüttelte sichtbar den Kopf. Wie hatte er sich von dieser kitschigen Situation derart einlullen lassen können?
Völlig überraschend legte das Ensemble los, und Riker riss erschrocken die Posaune hoch, führte das Mundstück zu den Lippen, doch die unwillkührliche Bewegung sorgte dafür, dass das kalte Metall mit Wucht an seine Zähne schlug. Ein greller Blitz von Schmerz durchzuckte ihn. Während Riker das Gesicht verzog, erstarb alle Musik und alle Geräusche im Raum, nur der im ausgelassenen Saxophonspiel vertiefte Russel Norkin benötigte einige Sekunden mehr, um zu begreifen.
Sein letzes Quäken klang in ein langgezogenes Warnsignal hinein, dass einer Rückkopplung nicht unähnliches war. Jeder Hörer war sich über dessen Bedeuteng im Klaren. Es verlangte unbedingte Aufmerksamkeit. Alle Köpfe reckten sich unwillkührlich nach oben.
Als die Lautsprecher des Auditoriums knackten, legte sich noch das leiseste Flüstern. Für einen ewigen Moment trat Totenstille ein.
Dann hallten es so laut, dass einige zuckten.
„Hier spricht Commander Gile. Es folgt eine Direktübertragung des Hauptquartiers unter Flottenadmiral Gardner. Priorität Eins.“
Für mehr Worte wurde dem zweiten Mann an Bord kein Raum gelassen. Die Dringlichkeit der Übertragung degradierte ihn zum Ansager. Es folgten die Worte des Flottenadmirals, in einem Tonfall voller Bedacht und einer Spur Fassungslosigkeit. Jede Silbe sank schwer auf die Häupter, sank zu Boden und blieb dort ruhen wie aus Stein gemeißelt.
„Herr Verteidigungsminister, Herr Sekretär, Mitglieder der Sternenflotte der Vereinten Erde.
Etwas Gravierendes hat sich ereignet.
Im Laufe des heutigen Morgen führte eine unbekannte Streitmacht einen Angriff gegen die Außenposten der Vereinten Erde im Wega-Sternensystem.
Es zündeten nukleare Schläge massiven Ausmaßes über unseren Kolonien.
Lyrae Junction, Lem Town, Harp Star City... Mantle Prime.
Die Zerstörungen sind umfassend. Überlebende... keine.
Wir wissen nicht, ob weitere Angriffe folgen werden. Es fehlt uns jede Vorstellung von dem angreifenden Feind.
Gewiss bei all der Unwissenheit ist nur eines: seit dem heutigen Tag, dem ersten April 2157, einem Tag, der in Trauer und Schande fortleben wird, befindet sich die Vereinigte Erde, befindet sich die Menschheit und ihre Alliierten mit diesem Feind...
...im Krieg.
Sie wurden hierfür ausgebildet. Sie sind bereit. Sie bilden den Kern und den Herzschlag der Verteidigung dessen, was die Menscheit definiert.
Zu unseren höchsten Gütern erhoben wir Toleranz, Gerechtigkeit und Freiheit. Begegnen sie diesem unbekannten Feind, der diese Werte aufs Abscheulichste verneint, mit Würde. Treten sie ihm entgegen mit Moral. Erfüllen Sie ihre Pflichten, und halten sie zu ihren Kameraden. Wir werden diese Zeit durchstehen. Vereint.“
Die Silben aus Stein, sie fügten sich in das Gebäude der Geschichte.
Riker hatte sich aufgerichtet. Auch die rechstlichen Anwesenden hatten sich geschlossen von den Plätzen erhoben. Commander Gile leitete die Durchsage knapp aus: „Der Verteidigungsfall ist eingetreten. Besetzen sie ihre Stationen. Ihre Abteilungsleiter informieren Sie über die aktuellen Entwicklungen. Aus.“
Giles Methode, mit dem Ungeheuren fertig zu werden, schien in einem Zwang zu Beherrschung und Sachlichkeit zu liegen. Dabei wirkte er im Kontrast zur still brodelnden Fassungslosigkeit der anwesenden Crew beinahe schon gefühllos und kalt. Alle Blicke ruhten nun auf den Admiral, angstvoll und hoffnungsvoll zugleich. Von ihm wurde erwartet, das Wort zu ergreifen, beruhigend zu sprechen. Silben zu reihen, die die Verzweiflung tilgen würden, die sagen würden, alles sei nur ein Traum.
Er schaute diesen Menschen nur stumm in die Gesichter. Er sah Tote. Reihe um Reihe. Alles wandelnde Tote, die ihn mit toten Augen ansahen.
"Na los, gehen sie!" herrschte er die Toten nach einer Ewigkeit an. Und während die Menge wie ein Bündel aufgescheuchter Tauben auseinander stob, floh Riker durch den Bühnenausgang, wie ein Musiker nach einem mißlungenen Konzert. Vor Leichen.