Hallo,
auf der Suche nach Kritiken und Kommentaren zu Nemesis bin ich schließlich hier gelandet. Ist ja schon interessant, was man so liest. Es bilden sich wohl zwei Lager, eingefleischte "Trekkies", die auf jedes Detail achten, bis hinunter zur Uniform, und andererseits Leute, die SciFi- und/oder StarTrek-Fans sind, ohne dogmatisch zu sein. Zu letzteren gehöre ich.
Ich persönlich war nach dem ersten Kino-Gang in Nemesis begeistert, gleichwohl ich manche Kritik teile. Dafür, dass es der letzte Film sein soll, ist der Abgang wirklich dürftig, das hat man in ST VI weitaus besser hinbekommen. Aber wie viele schon sagten, man hält sich da wohl immer noch ein Hintertürchen offen - eigentlich schade, denn eine konsequente Entscheidung wäre besser gewesen.
Nun mal der Reihe nach: Die von vielen gelobte Hochzeits-Episode zu Beginn war bisweilen recht unterhaltsam, hat mich aber nicht überzeugt. Das fängt bei Troi im rosa Sahnebaiser an und gipfelt in Picards Rede, die seinem Naturell und Charakter in den vorhergehenden Filmen sowie der Serie überhaupt nicht entspricht. Er, der noch nie der große Redenschwinger, geschweige denn Alleinunterhalter und Party-Löwe war, sprüht auf einmal vor Humor und Witz. Das hätte man subtiler mit etwas mehr Understatement verpacken können, vor allem den Spruch "Mr Data, halten sie die Klappe". Darüber hinaus ist er auf einmal gar nicht so prüde wie sonst, wenn es darum geht, sich bei den Hochzeitsfeierlichkeiten nackt zu präsentieren.
Die wesentlich jüngere und im Alpha-Quadrant unerfahrenere Janeway als Admiral sollte vielleicht ein Gag sein, war aber eher eine Panne. Das Thema "Familie" fand ich jedoch recht plausibel, wird am Anfang konstituiert, die Hochzeitsgesellschaft (=Famile) ist auf dem Weg nach Betazed. Soweit so gut.
Die Existenz eines noch erhaltenen Data-Prototypen ist durchaus erklärungsbedürftig und hätte gut unter Kürzung der doch recht dürftigen Wüsten-Rallye erfolgen können.
Highlight und Hauptkonflikt ist zweifelsohne das Verhältnis Picard-Shinzon. Da ließe sich viel zu sagen. Von zu wenig Tiefe und schlechten Dialogen kann da überhaupt keine Rede sein, geht doch der Film in dieser Hinsicht weit über das übliche Serien-Niveau (einzelne Episoden ausgenommen)und das der meisten Filme hinaus und zieht mit ST VI und VIII mindestens gleich. Die Darstellung des Konflikts Shinzon-Picard scheint von der Handlung her betrachtet vielleicht zunächst oberflächlich. Unplausibel ist dabei in der Tat Shinzons Absicht, die Erde von vornherein zu zerstören, eine Wandlung ins Irrationale mit dieser Absicht zu einem späteren Zeitpunkt wäre da angebrachter gewesen. Wer oder was also ist nun dieser Klon? Eine leibliche Mutter im eigentlichen (genetischen) Sinne hat er ja nicht, vielmehr würde diese Bezeichnung auf Picard zutreffen, der gegenüber dem viel jüngeren Shinzon ja wie ein Vater wirkt. Und genau das gibt ihm zu denken. Er steht sich selbst, zumindest einem Teil von ihm gegenüber, das vielleicht dieselben Möglichkeiten (gehabt)hätte, dessen Leben vielleicht ähnlich wie sein eigenes, oder gar besser verlaufen wäre (oder noch verlaufen könnte), hätte Shinzon eine andere Sozialisation gehabt. Dieser wiederum ist neugierig auf seinen "Vater", den er vordergründig braucht, um zu "überleben", den er aber hintergründig hasst, weil Picard so genau weiss, was "Mensch sein" bedeutet und dadurch ja auch Reife beweist. Die hat Shinzon nun gar nicht; im Gegenteil, er weigert sich letztlich, im gewissen Sinne "erwachsen" zu werden, bzw. "nach Höherem" zu streben oder "über sich hinaus zu wachsen". Shinzon will letztlich nichts anderes als menschliche Zuwendung (und Berührung) - alle andere, z.B. die der Romulanerin lehnt er ab, mit Ausnahme der Person seines Ziehvaters Viceroy - ob nun durch Picard oder auch Troi. Das Bedürfnis ist im wörtlichen Sinn so groß, dass es Picard das Leben kosten würde (kompletter DNA-Austausch).
Es ist daher auch nicht zufällig, dass Shinzon von Picard zum Schluß aufgespießt wird, die Parallele zu Freud's Phallus-Symbol und Ödipus-Komplex ist offensichtlich, Shinzons letzten Worte beinahe tragisch. Tom Hardy mit seinen (damals) 25 Jahren zeigt eine aussergewöhliche Leistung. Nicht wie ein cholerisch rumbrüllender Khan, viel subtiler legt Hardy die Rolle an, mit hasserfüllter Unschuldsmiene. Ich kenne bisher nur die Synchron-Fassung, die sich in Bezug auf Shinzon durchaus sehen lassen kann (bin aber schon sehr aufs Original gespannt). Die düsteren Szenen haben schon Theater-Qualität, nicht nur schauspielerisch. Beleuchtung, Kulisse, Kostüme und Maske konnten sich ebenfalls sehen lassen: Shinzons enges Korsett, in dem er steif und kränklich wirkt und das somit seine genetische Schwäche nur unterstreicht.
Um diesen Konflikt lassen sich andere Handlungsstränge anordnen, vor allem Data und sein Handeln. Dass in einem Film nicht alle Charaktere voll zur Entfaltung kommen, liegt in der Natur der Sache. Selbst in der Serie standen meist immer nur ausgewählte Figuren wechselweise im Vordergrund. LaForge war weitaus häufiger zu sehen als Crusher, Ryker hatte mit Ausnahme des dubiosen Zweifkampfes gegen Viceroy ein relativ farbloses Dasein, aber er musste als Bräutigam ja auch geschont werden
Und nochmal "Familie": Picard steht stärker als Familienoberhaupt da als je zuvor. Er ist der 'spiritus rector', der lenkende Geist, der um "Ideen", "kreative Vorschläge" bittet und nicht mehr jeden Handgriff selbst delegieren oder gar überwachen muss. Unter dem Familien-Aspekt muss man wohl auch den Abschied von Data verstehen, es ist halt die Familie (das sind die Führungsoffiziere), die seiner im kleinen Kreis gedenkt. Militärische Ehrenbekundungen unter Anwesenheit der gesamten Crew wurden halt ausgespart. Dennoch ist eine Rückkehr wie bei Spock denkbar. Datas gesamte Daten wurden ja überspielt, liegen jedoch nur auf einem veralteten "Rechner", der die Dateien (noch?) nicht lesen kann.
Datas Handeln an sich ist gemessen an den gegebenen "Parametern" durchaus logisch und verständlich. Er ist es schließlich, der über sich hinaus wächst, indem er Befehle mißachtet, selbst entscheidet, was richtig und notwendig ist, auch wenn es den Tod bedeutet. In seinem Streben, "menschlicher" zu werden, gelangt er an ein Ziel. Er erreicht das, woran Shinzon scheiterte: Mensch sein heisst nicht nur zu leben wie ein Mensch, sondern auch als Mensch zu sterben, indem man sein Schicksal annimmt (sehr pathetisch, ich weiss
).
Ach ja, Picard und die Selbstzerstörung: In der Tat nicht ganz plausibel, aber der Gag war es wert, wurde dieses Motiv doch in vorangehenden Filmen schon über die Maßen strapaziert. Aber warum nicht? Picard steckte in einem Dilemma: würde die Enterprise zerstört, hätte Shinzon freie Bahn zur Erde. Doch das war erst das zweite Problem. Auf keinen Fall durfte Picard in die Hände seines Klons geraten, hätte dieser doch dann die Möglichkeit gehabt, Picards Platz einzunehmen.
Zusammengenommen also kein so dummer Film, der immerhin die Denke anregt und bei dem man auch auf den zweiten Blick noch so manches entdecken kann. Filme mit platter Action, viel Geballer und coolen Sprüchen, bei denen man den Film zusammen mit dem letzten Popcorn und dem letzten Schluck Cola bereits verdaut hat, gibt's zur Zeit leider mehr als genug auf den Leinwänden.
Ecthelion
Herr der Quelle zu Gondolin und Namensstifter der Truchsesse von Gondor