Ich finde, es handelt sich hier um eine interessante Diskussion, doch leider ist sie aus wissenschaftlicher Sicht - meiner Meinung nach - doch ein wenig fernab von der Realitaet. Damit meine ich nicht die Frage, ob Zeitreisen ueberhaupt moeglich sind, sondern viel mehr, was fuer Ansichten darueber hier so herrschen, was mit den physikalischen Gesetzen passiert, wenn man auf Zeitreise ist.
Daher moechte ich mal ein paar Gedanken zusammenfassen:
Irrglaube Nr. 1
USS Nelame schrieb:
Man kann versuchen solche "Butterfly-Effekte" zu berechnen
Das kann man gerne versuchen, Erfolg wird man dabei nicht haben. Es ist in groesstem Masse unwahrscheinlich, dass wir selbst bei beinahe unbeschraenkter Rechenkapazitaet etc. auch nur annaehrnd ein Bild erhalten, das nahe an dem realen Ergebnis liegt.
Gerade das Wort "Butterfly Effect" beschreibt es recht gut: es gibt winzige Unsicherheiten in den Messwerten (seit Heisenberg wissen wir, dass wir diese nicht einfach durch immer genauere Messmethoden umgehen koennen); gemaess dem "Butterfly Effect" koennen diese winzigen Abweichungen in den Anfangswerten massive Auswirkungen auf das Ergebnis haben.
Bei einer derart komplexen Struktur wie der Zeitkontinuitaet sind dann so viele "Messwerte" bzw. Eingangsinformationen zu verarbeiten, dass aufgrund der mit jedem weiteren Wert exponentiell wahrscheinlicher werdenden Abweichungen ("Chaos") absolut keinerlei auch nur annaehrnd zuverlaessige Antwort moeglich ist, was bei einem Eingriff passiert.
Irrglaube Nr. 2
USS Nelame schrieb:
"So lange ich die Möglichkeit habe es im Zweifelsfall rückgängig zu machen..."
Diese Moeglichkeit ist eben nicht vorhanden! Jeder Eingriff veraendert unwiderbringlich das entsprechende System (hier die Struktur der Zeitlinie).
Eine Rueckfuehrung in den Anfangszustand ist normalerweise nicht moeglich.
Einfachstes Beispiel: man verursacht versehentlich seinen eigenen Tod (bzw. den Tod des gesamten "Time Line Reformer Teams").
Aber auch bei kleinen Eingriffen laesst sich keine 100%-ge Wiederherstellung leisten.
Ein interessanter, wenn auch nicht ganz korrekter, Einblick wird in VOY-Ein Jahr Hoelle geliefert.
Irrglaube Nr. 3
USS Nelame schrieb:
OK, wir können das entweder als Endlosschleife weiterspielen (also im Nachhinein Karl Eduard Schmidt töten, dann den nächsten, dann den nächsten... bis keiner mehr da ist)
Voelkermord ist keine Loesung...
Irrglaube Nr. 4
USS Nelame schrieb:
oder wir schleichen uns nebenbei auch mal in die Politik ein, fügen die von mir benannten Reformen herbei und die Ausgangssituation ist geändert.
Es ist schlichtweg unmoeglich, ein politisches System mal eben von aussen umzubauen in eine funktionierende Demokratie, schon mal gar nicht, wenn man die aeusseren Faktoren nicht bedenkt.
Man sollte z.B. bedenken, dass Deutschland - haette es den 2. Weltkrieg nicht gegeben - noch bis 1999 haette Reparationszahlungen in erheblichen Masse haette leisten muessen. Hier mal eben irgendwelche Reformen durchzufuehren, die eine Machtergreifung von Radikalen dauerhaft haetten unterdruecken koennen, ist absolut unrealistisch.
Schliesslich handelt es sich hier nicht um ein Computerspiel, in dem man mal schnell auf "Revolution einleiten" klickt und kurz darauf "Demokratie" auswaehlen kann (Cuvilisation rocks).
Irrglaube Nr. 5
USS Nelane schrieb:
Es ist ja tatsächlich so, dass unser geeintes Europa bloß auf der Tatsache gegründet ist, dass man diese Vergangenheit vergessen wollte.
Nun ja, eigentlich ist das momentane Europa auf der Erkenntnis gebaut, dass man die Vergangenheit eben nicht vergessen wollte und gerade das fuehrt wieder zu dem, was Bernd, das Brot meinte: jegliche Form der Intelligenz, die wir kennen, lernt aus Fehlern. Nimmt man der Menschheit das Wissen und das Gedaechtnis ueber die Fehler, die sie begangen haben, so nimmt man ihnen auch die Erkenntnis, die daraus erwuchs.
Natuerlich ist das kein konstanter Lernprozess, denn Lernprozesse sind niemals konstant, sondern unterliegen immer Schwankungen.
Irrglaube Nr. 6
USS Nelame schrieb:
Wie soll man temporale Theorien auf Fakten aufbauen? Das kann man doch erst, wenn man die Möglichkeit hat Eingriffe in der Zeit vorzunehmen.
Nur, weil man durch die Zeit reisen kann, heisst das noch lange nicht, dass man ueber den physikalischen Gesetzen steht. Sicherlich sind unsere heutigen Ansichten von den physikalischen Gesetzen auch nur Annahmen, doch sind es Annahmen, die sich in der Realitaet als durchaus praktikabel erwiesen haben. Diese Gesetze gelten auch bei Zeitreisen weiterhin und sind sicherlich eine bessere Grundlage als irgendwelche Phantasien ueber "Temporale Unantastbarkeit", die wohl Deiner Meinung nach wie eine Art natuerliche temporale Schilde alle Personen beschuetzen, die mit Zeitreise experimentieren...
Irrglaube Nr. 7
USS Nelame schrieb:
Daraus ergibt sich für mich eine Zahl, die die Anzahl der zurzeit lebenden Menschen übersteigt (auch wenn diese Zahl mit einem gewissen schätzungsrisiko verbunden ist).
Das klingt zwar toll, ist aber absolut irrelevant. Die Rechnung ist so dermassen vereinfacht, als wenn Du - beim Untersuchen, wie sich die Naehe zur Erde auf Personen auswirkt - aus Vereinfachungsgruenden auf die Wirkung der Schwerkraft verzichten wuerdest.
Abgesehen von vorhandenen Annahmefehlern sind die Vereinfachung absolut untragbar. Das Ergebnis der Rechnung ist so interessant, wie die Farbe eines Radieschens, wenn man das Paarungsverhalten von arktischen Eisbaeren studieren moechte...
Groessenwahn Nr. 8
USS Nelame schrieb:
Wie ich mit dem problem umgehe? Gar nicht, hätte ich nämlich diese Fähigkeit würde ich von Grundauf alles ändern, damit erst gar nicht so etwas entsteht, wie diese grottig schlechte Menschheit, die heute existiert.
Fuer Deine Wortwahl wuerde ich Dir folgendes Vorbild empfehlen:
Bibel schrieb:
Als aber der HERR sah, daß der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, daß er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis hin zum Vieh und bis zum Gewürm und bis zu den Vögeln unter dem Himmel; denn es reut mich, daß ich sie gemacht habe.
Max schrieb:
Dennoch ist dieser Punkt interessant, denn die Frage "Zählt das Wohl vieler immer mehr, als das Wohl weniger, oder eines einzelnen?" kann für beide Positionen 'missbraucht' werden. Will jemand eine einzige Person retten, die im Zuge des zweiten Weltkrieges ums Leben kam, kann er sich ihr genauso bedienen, wie jemand, der die Nachkriegsbedinungen schützen will, obwohl es so viele Opfer gab.
und gerade das zeigt, dass es eben kein "objektives" Mass zur Beurteilung einer Zeitreise-Berechtigung geben kann; selbst wenn eine exakte Bilanzierung der Leben moeglich waere.
Max schrieb:
Nähmen wir einmal an, eine Person hätte die Möglichkeit in die Vergangenheit zu reisen, muss das überhaupt die Vergangenheit sein, die er kannte ?
Die Antwort ist einfach: ein Mensch kann nicht die selben zwei Wochen nochmal erleben, die er bereits vorher erlebt hat.
Allein mit seiner Anwesenheit hat er die Zeitlinie bereits unwiderbringlich veraendert. Mit sehr viel Glueck unterscheiden sich die zwei Wochen nur maginal von denen, an die er sich erinnerte, bevor diese Veraenderung seine Erinnerungen an seine ehemalige Zeitlinie mit neuen Erinnerungen ersetzen.
Irrglaube Nr. 9
USS Nelame schrieb:
Meine Güte, es gibt doch gar kein Paradoxon: Wer in die Zeit eingreifen kann, der steht über ihr, heißt also, die Zeit hat keinen Einfluss mehr auf diese Person, das bedeutet, sie kann machen was sie will, weil sie immer weiter existiert... halt außerhalb der Zeit.
lol ...
Nun ja, ich meine, Voyager ist ja manchmal ganz unterhaltend, allerdings moechte ich Dich doch bitten, nicht den Fehler zu begehen, in das reine Story-Element "Temporale Schilde" irgendwelche realistischen, wissenschaftliche Erkenntnisse reinzuinterpretieren!
Bis auf weiteres steht NIEMAND ausserhalb der Zeit, schon gar nicht diejenigen, die sie veraendern. Das dient in Voyager einzig und allein der einfacheren Story Line und hat absolut Nichts mit der Realitaet zu tun...
Irrglaube Nr. 10
USS Nelame schrieb:
...dass wir Menschen lediglich eine Rasse sind, die auf Fehlern beruht und noch weitere Fehler machen wird. Das würde uns nicht nur schlechter als jedes Tier machen...
Es ist ja loeblich, dass Du Deine eigene Art nicht unreflektiert als die Kroenung der Schoepfung ansiehst, aber noch schoener waere es, wenn Du Deiner Kritik wenigstens ein wenig mehr Tiefe verleihen wuerdest.
Irrglaube Nr. 11
Max schrieb:
Töte ich meine Vorfahren, werde ich in der Zukunft nicht existieren, aber das brauche ich ja auch nicht, schließlich existiere ich nun in der, durch Zeitreise bestimmten Zeit.
Nach allen Erkenntnissen, die die Wissenschaft momentan zu diesem Thema hat, kann man nur sagen: es gibt keinerlei wie auch immer gearteten Grund, anzunehmen, dass Deine These stimmt.
Die momentan gaengige Ansicht - die von bisher jedem physikalischen Gesetz unterstuetzt wird, das wir kennen - ist eher, dass die Verhinderung der eigenen Geburt eine umgehende Ausloeschung der Existenz bedeutet. Das heisst: man wird nicht geboren, wird entsprechend niemals zeitreisen koennen und somit auch nicht seine eigene Gebrut vehindern koennen. Da man nun mal nicht "uber der Zeitlinie steht", besteht das Paradoxon weiter und eine Loesung ist nicht in Sicht.
Ich fuerchte, dass man meine Ansicht ueber die "Berechtigung eines Timeline Reformings" recht deutlich aus meinen Kommentaren rausliesst...