Ron Sommer im Interview mit der Frankfurter Rundschau zum Thema Flatrate (erschienen am 17. November 2000)
Die Vorwürfe des Konkurrenten AOL, die Telekom verhindere durch hohe Preise eine stärkere Nutzung des Internets in Deutschland, haben den Vorstandsvorsitzenden Ron Sommer sichtlich erbost. Seiner Ansicht nach werden die Leistungen seines Unternehmens nicht nur auf diesem Gebiet in der deutschen Öffentlichkeit nicht ausreichend zur Kenntnis genommen. "Wir sind die erfolgreichste Internet-Nation Europas. Dass immer wieder die Vereinten Staaten als das große Vorbild hingestellt werden, stört Sommer sehr. Im Gespräch mit dieser Zeitung nennt er immer wieder Beispiele, die belegen sollen, dass Deutschland auf vielen Gebieten technisch fortgeschrittener ist. In dem Streit um den Internet-Pauschalpreis hat Sommer bei der Regulierungsbehörde eine Niederlage einstecken müssen. Die Telekom wurde verpflichtet, den Online-Diensten für die Nutzung des Telefonnetzes vom 1. Februar eine sogenannte Flatrate anzubieten. Diese Grundsatzentscheidung lässt noch viele Fragen offen. Für die Gestaltung des Pauschalpreises hat die Aufsichtsbehörde keine Vorgaben gemacht. Was bedeutet das für den Wettbewerb der Internet-Provider? Wie wird die Telekom darauf reagieren? Ist das Unternehmen bereit, einen Pauschalpreis nach britischem Vorbild anzubieten? Oder zieht die Telekom jetzt ihre Endkunden-Flatrate von 79 DM monatlich für unbegrenztes Surfen im Netz zurück?
Herr Sommer, Wettbewerber wie AOL werfen der Deutschen Telekom vor, sie behindere durch ihre Preispolitik eine stärkere Nutzung des Internet hierzulande.
Sommer: Das ist falsch. Deutschland ist dank der Deutschen Telekom die erfolgreichste Internet-Nation Europas. Wenn man je Kopf der Bevölkerung rechnet, mag das eine oder andere kleine Land, beispielsweise Finnland, höhere Werte aufweisen. Aber wir sind besser als England, Frankreich, Italien und Spanien. Das gilt für die Zahl der Online-Anschlüsse, ihre Qualität und ihre Nutzung. Nur mit den Vereinigten Staaten liefert ein Vergleich differenzierte Ergebnisse: In der Internet-Nutzung sind wir schlechter, aber wir wachsen schneller. In der Qualität des Angebots der Netze sind wir auch viel besser. Und die Einführung der ADSL-Technik (Asymmetric Digital Subscriber Line) geht es bei uns ebenfalls viel schneller.
Aber hängt die stärkere Internet-Nutzung in den Vereinigten Staaten nicht doch mit den Preisen zusammen?
Sommer: Nein. Zeigen Sie mir doch eine Flatrate bei einem schnelleren ADSL-Internetzugang für 49 DM, wie wir sie haben. Zeigen Sie mir doch einen Preis wie unsere 59,78 DM für einen T-DSL-Anschluss. Wir sind in Sachen Internet keine Nation von Hinterwäldlern, wie der Chef von AOL Deutschland es darstellen möchte. Und im übrigen: Auch in den USA kann niemand Leistungen verschenken.
AOL und andere Online-Dienste nutzen das Telefonnetz des Telekom für den Online-Zugang. Warum lehnen Sie einen Pauschalpreis (Flatrate) als Entgelt so vehement ab?
Sommer: AOL möchte sein unternehmerisches Risiko bei uns abladen. Hier will man doch nach dem Motto handeln: Die Telekom schenkt uns die Leitung und wir bekommen das Geld. Im Internet-Geschäft der Zukunft wird Geld weniger über die Zugangsentgelte, sondern durch E-Commerce und Werbung verdient. Das Interesse der Online-Dienste ist es, möglichst viele Kunden möglichst lange im Netz zu halten. Wir stehen vor einer gigantischen Nachfrage nach Bandbreite und müssen die Kapazität um das bis zu Hundertfache erhöhen. In dieser Situation will AOL sich die steigenden Einnahmen sichern, aber die "Produktkosten" festschreiben. Diese Investitionen müssen alle mittragen.
Gleichwohl hat die Regulierungsbehörde die Telekom nun im Grundsatz verpflichtet, vom 1.Februar 2001 an eine Großhandelsflatrate anzubieten: Wird der Internet-Zugang nun billiger?
Sommer: Die Preise werden sich immer an den Kosten orientieren. Das ist bei uns schon immer üblich gewesen.
Sind nicht ein Großteil Ihrer Netzkosten Fixkosten, die man gut pauschal abgelten kann?
Sommer: Eine Flatrate soll doch genau dazu führen, dass Kunden rund um die Uhr die Verbindung stehen lassen. Damit wächst die Gefahr, dass es zu Blockaden im Telefonnetz kommt. Diese Gefahr haben unsere Wettbewerber immer geleugnet. Pikanterweise aber hat heute AOL in Frankreich die Flatrate in den Spitzenzeiten auf eine Nutzungsdauer von 30 Minuten limitiert. Begründung: Netzüberlastung. Wir sollen also somit das Risiko tagen, das Netz dramatisch erweitern zu müssen. Das wären Milliarden-Investitionen in der Technologie, die nicht für das Internet geschaffen wurde. ADSL dagegen ist die ideale Technik für Rund-um-die-Uhr-Internet. Und diese Technik bauen wir aus wie niemand sonst auf der Welt. Ende des Jahres sind 60 Prozent Deutschlands versorgt. Ende nächsten Jahres über 90 Prozent. Das gibt es nirgendwo sonst in der Welt. Deutschland wird die technisch fortschrittlichste Online-Nation.
Sie befürchten Kapazitätsengpässe und Blockaden im Telefonnetz nach Einführung von Pauschalpreisen. Warum hat T-Online dann überhaupt eine Flatrate von 79 DM für Analog- und ISDN-Anschlüsse eingeführt?
Sommer: Es handelt sich nicht um ein Angebot auf Dauer für die Masse der Kunde. Wir sehen die Chance, viele Kunden zu gewinnen und zum Umstieg auf T-DSL zu bewegen. Aber wir gehen hier ein großes unternehmerisches Risiko ein. Das Risiko für mich selbst kann ich tragen, aber nicht für meine Wettbewerber. Das kann ich meinen Aktionären nicht zumuten.
Die Regulierungsbehörde argumentiert, die Internet-Service-Provider müssten zeitabhängig Vorleistung einkaufen, ihren Endkunden jedoch aus Wettbewerbsgründen einen Pauschalpreis anbieten.
Sommer: Wenn die Telekom den Wettbewerbern einen Großhandels-Flatrate anbieten muss, weil T-Online für die Endkunden eine Flatrate von 79 DM hat, stellen wir sie ein. Sonst würde die Telekom ja zur Vollkaskoversicherung für die Verluste der Wettbewerber. Die Zukunft ist sowieso die ADSL-Technik.
Aber in Großbritannien gibt es doch auch eine Großhandels-Flatrate?
Sommer. Das stimmt nicht. Von einer bestimmten Menge Verbindungsminuten an gibt es keine Flatrate mehr.
Damit könnten Sie also leben?
Sommer: Allemal. Jedes Modell, das rechenbar ist, machen wir gerne mit. Aber in England gibt es keinen Anspruch auf einen entbündelte Teilnehmer-Anschlussleitung. In Deutschland kann jeder Wettbewerber für weniger als 25 DM im Monat die Leitung von uns mieten und damit den Zugang zum Kunden. Nur muss der Wettbewerber in Technik investieren, was die meisten nicht wollen.
Einige Ihrer Wettbewerber behaupten, die Telekom bediene ihr Tochtergesellschaft T-Online besser als sie.
Sommer: Das ist nachweislich falsch. T-Online zahlt Preise wie die Wettbewerber und bekommt Mengenrabatt wie die Wettbewerber.
Andere werfen Ihnen vor, Sie nähmen bei T-Online bewusst hohe Verluste in Kauf, um die Konkurrenten aus dem Markt zu drängen.
Sommer: Der Vorwurf ist unberechtigt. T-Online verfolgt die Strategie möglichst schnell den Markt zu erweitern, wegen der zukünftigen Erlöse aus E-Commerce und Werbung. Dazu gehört es unternehmerisch in Vorleistung zu gehen.
Sie haben die deutsche Regulierung in den vergangenen Monaten heftig kritisiert.
Sommer: Niemand hinterfragt das "deutsche Modell" in der Telekommunikation. Es wird noch immer so getan, als wenn die Telekom es mit kleinen Wettbewerbern zu tun habe. Dabei heißen unsere Wettbewerber AOL, Vodafone/Arcor, Mobilcom/ France Télécom. Das sind doch keine Kleinunternehmen. Die Deutsche Telekom kann denen doch nicht in Deutschland die Risiken komplett abnehmen. In deren Heimatländern gibt für uns keine vergleichbaren Rechte, nicht mal den Anspruch auf entbündelte Anschlussleitung. Dabei gibt es von der EU für alle seit Jahren dieselben rechtlichen Vorgaben.
Aber die Regulierungsbehörde hat sich an das deutsche Telekommunikationsgesetz zu halten.
Sommer: Richtig. Herrn Scheurle können wir keinen Vorwurf machen. Aber das Gesetz wurde aus der Sicht der Jahre 1996/97 geschrieben. Es ist nicht mehr zeitgerecht. Wer konnte damals wissen, wie schnell die Entwicklung sein würde?