Ohne Titel

Boothby

Admiral
Teammitglied
Ich habe folgende Geschichte gefunden.

Der Raumsektor DHJ/13 war gekennzeichnet durch das Fehlen jeglicher Himmelskörper und interstellarer Materie. Es herrschte undurchdringliche Schwärze, kaum unterbrochen vom schwachen Schimmer entfernter Sterne. Doch zur Zeit war dieser Teil des Alls nicht völlig leer. Ein imaginärer Beobachter könnte bei näherer Untersuchung in der gähnenden Leere vier winzige Massepunkte ausmachen, die sich mit etwa halber Lichtgeschwindigkeit bewegten. Plötzlich jedoch war einer der Punkte verschwunden.

Eben noch das vertraute Summen der Triebwerke, dann auf einmal fast völlige Stille. Dies war das einzige, was Nig wahrnahm. Alarmiert hob er den Kopf in Richtung des Kontrollmonitors, als der Bordrechner sein dezentes, aber unüberhörbares Warnsignal ertönen ließ. Sofort drückte Nig die Sprechtaste. "Was ist passiert?"

Das Warnsignal verstummte. "Hallo Nig", ließ sich stattdessen die Computerstimme hören. "Der Antrieb ist ausgefallen, hervorgerufen durch einen Zusammenbruch der Primärenergieversorgung. Zeitgleich hat das Schiff einen Hypersprung gemacht."

"Was redest du da? Für einen Hypersprung sind wir doch viel zu langsam. Und was war das mit den Triebwerken?"

"Tut mir leid, Nig. Wie ich schon sagte, hat das Schiff von sich aus einen Hypersprung gemacht. Die Ursache dafür ist mir nicht bekannt. Der Grund für den Energiezusammenbruch hängt mit hoher Wahrscheinlichkeit mit dem Hypersprung zusammen. Ich bin noch dabei, die Details zu analysieren."

"Unabhängig davon, dass weder du noch ich einen Hypersprung autorisiert haben, war unsere Geschwindigkeit nicht ausreichend für irgendeinen Hypersprung. Prüf das bitte noch einmal."

"Unsere jetzigen Raumkoordinaten befinden sich auf dem Monitor. Die Wahrscheinlichkeit, diese Koordinaten nicht durch einen Hypersprung zu erreichen, sind Null Prozent."

Nig betrachtete das Gebiet des Alls, das der Computer vor ihm projizierte. Demnach befand er sich in der Nähe eines Sternsystems,
dessen Konstellation ihm völlig unbekannt war. Von den Begleitschiffen war nichts zu sehen. Ein Blick auf die eingeblendeten Koordinaten ließ ihn die Augenbrauen heben: Dieser Raumsektor lag weit jenseits des Territoriums, das seines Wissens bislang erforscht worden war.
"Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, diese Position mit einem Hypersprung zu erreichen, mit unserer Ausgangsgeschwindigkeit?"

Der Rechner überhörte die unterschwellige Ironie. "In meinem Speicher ist jeder derartiger Ortswechsel als Hypersprung definiert. Ich gebe zu, dass basierend auf unseren Anfangsparametern ein Hypersprung logisch nicht zu erklären ist. Aber dass er stattgefunden hat, steht außer Frage. Alle Instrumente arbeiten fehlerlos."
"Okay, lassen wir das für den Moment." Nig wusste, dass irgendwo ein Fehler vorliegen musste; eine andere Erklärung gab es nicht. Dass die Triebwerke nicht arbeiteten, konnte er jedoch hören.
"Was ist mit dem Antrieb?"
"Das ist eine merkwürdige Sache." Die Stimme des Bordcomputers, gewöhnlich sachlich/freundlich, hatte einen verlegenen Unterton. "Die Energieversorgung aus dem Reaktor ist zusammengebrochen. Gegenwärtig laufen alle Systeme mit Sekundärenergie. Der Reaktor scheint intakt zu sein, liefert aber keine Energie. Die Ursache analysiere ich gerade. Es gibt keine Hinweise auf einen Schaden. Nach den vorliegenden Daten geht auch keine unmittelbare Gefahr vom Reaktor aus."
"Wenn der Reaktor defekt ist, wieso laufen die Triebwerke dann nicht auf Reserve-Energie?"
"Es ist zwar nicht logisch, aber nach meinen Daten ist der Reaktor nicht defekt. Daher sind die Hilfsaggregate nicht angesprungen. Der Fusionsprozess läuft, liefert jedoch keine Energie. Eine Erklärung dafür habe ich bis jetzt nicht gefunden. Ich analysiere noch."
Für Nig war nach diesen Ausführungen klar, dass der Bordrechner tatsächlich einen Defekt haben musste. Er wandte sich an das Leitsystem des Schiffes, das unabhängig vom Rechner arbeitete und rief den momentanen Status des Reaktors und des Rechners sowie die derzeitige Position ab.
Die entsprechenden Daten erschienen sofort. Nig studierte die Zeilen auf dem Schirm und ihm wurde rasch klar, dass die Werte die Analyse des Rechners bestätigten. Der Reaktor lief fehlerlos, ohne Energie zu liefern. Im Gegenteil: Der Reaktor verschlang erhebliche Energiemengen, um die Fusionsbedingungen aufrecht zu erhalten. Bei unverändertem Status reichte die Sekundärenergie gerade noch für etwa 12 Stunden. Alles deutete darauf hin, dass er wirklich ein Problem hatte.


Der Bordrechner meldete sich wieder. "Hallo Nig!"
"Ich höre."
"Die Fehleranalyse des Reaktors ist abgeschlossen. Die Ursache für die Energieunterbrechung ist eine Hemmung der Verschmelzung der Deuterium-Atome, die nicht nur den Hauptreaktor, sondern auch alle anderen Aggregate betrifft. Die Art der Hemmung ist unbekannt. Ich habe einen extrem hohen Neutrinofluss in diesem Raumsektor festgestellt. Dieser kann zwar die Deuterium-Verschmelzung nicht aufhalten, ist aber mit 84% Wahrscheinlichkeit ein Sekundäreffekt einer nicht messbaren äußeren Einwirkung, die für diesen Effekt verantwortlich ist."
"Was für eine Art von Einwirkung soll das denn sein, die so einen Effekt hervorruft?" Nig war zwar kein Experte von Energie-Erzeugung, doch wusste er, dass man die Naturgesetze der Verschmelzung von Atomkernen normalerweise nicht so leicht beeinflussen konnte.
"Tut mir leid Nig. Meine Datenbank sowie meine Rezeptoren sind nicht dafür ausgelegt, eine detailliertere Analyse vorzunehmen."
"Wie kommst du dann auf eine Wahrscheinlichkeit von 84%? Und was schlägst du vor, um den Energiefluss wieder in Gang zu bekommen?" Ein Anflug von Unsicherheit in Nigs Stimme war unüberhörbar.
"Der Ausgangspunkt des Neutrinoflusses ist ein Planet des Sonnensystems, das wir zur Zeit durchfliegen. Er kann daher keinen natürlichen Ursprung haben. Aus dem gleichen Grund ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Planet bewohnt ist und dass dessen Bewohner eine hochentwickelte Technologie besitzen müssen, praktisch 100%. Zu 84% ist der Neutrino-Fluss Teil einer umfassenderen Strahlung, die so etwas wie einen Schutzschirm darstellt. Um die Energieunterbrechung des Reaktors zu beheben, ist es notwendig, diese Strahlung zu beseitigen. Ich schlage deshalb eine Kontaktaufnahme mit den Bewohnern des Planeten vor."
Eine fremde Zivilisation ist die Ursache allen Übels? Nig entspannte sich etwas. Er hatte zwar persönlich noch nie Gelegenheit gehabt, Erstkontakt mit einer neuen Spezies aufzunehmen, doch besaß die Föderation genügend Erfahrung im Umgang mit andersartigen Zivilisationen und hatte ihm bei seiner Ausbildung entsprechende Regeln für solche Fälle mitgegeben.
"Okay, Vorschlag angenommen. Wo ist dieser Planet?"
"Wir fliegen direkt darauf zu. Unser derzeitiger Energiestatus
lässt nur eine begrenzte Navigation zu. Eine Landung ist daher unausweichlich. Alle Maßnahmen dazu sind getroffen."
"Danke." Nicht zum ersten Mal hatte Nig das Gefühl, dass nicht er, sondern der Rechner das Kommando über das Schiff hatte. "Ich gehe wohl recht in der Annahme, dass du keinerlei Daten über dieses System in deinem Speicher hast."
"Wenn Du meinst, dass dies der Ersteinflug eines Schiffes der Föderation in dieses Systems ist, hast Du recht. Seine Charakteristika werden zur Zeit von mir erforscht und aufgezeichnet.
"Wie lange noch bis zur Landung?"
"Wir schwenken bereits in eine instabile Umlaufbahn ein. Die Landung muss innerhalb einer halben Stunde erfolgen."
Nig sprang aus seinem Sitz und starrte aus dem Bordfenster. Einem
riesigen halbgeöffneten Auge gleich hing ein graublau geflecktes, verschwommenes Kugelsegment schräg über ihm in der Schwärze des Alls. Erschrocken wandte er sich ab.
"Sofort den Standort der Strahlenquelle lokalisieren und dort ein geeignetes Landefeld suchen. Schon Kontakt zu den Bewohnern?"
"Bislang konnte ich keine elektromagnetischen Wellen irgendwelcher Art empfangen. Überhaupt findet auf dem Planeten überraschend wenig energetische Aktivität statt. Die Neutrinoquelle ist lokalisiert; eine Landung direkt dort ist aber aus unserer Umlaufbahn heraus nicht möglich. Unter Berücksichtigung der topographischen Gegebenheiten ist die beste Alternative ein Gebiet etwa 100 Kilometer entfernt in der Nähe einer humanoiden Ansiedlung."
"Humanoid - meinst du damit \'nicht sehr hoch entwickelt\'? Nicht hoch genug, um unseren Reaktor lahm zu legen?"
"Bei weitem nicht hoch genug. Alle Anzeichen weisen auf einen prä-industriellen Entwicklungsstand hin."
Womöglich diente der Planet nur als unbewohnter Stützpunkt einer umfassenden Verteidigungsanlage, dachte Nig. Umso leichter sollte es sein, die Strahlenquelle auszuschalten. "Einverstanden. Und starte sofort eine Notrufboje."
"Ich muss darauf hinweisen, dass auch die Primärenergieversorgung der Notrufbojen unterbrochen ist. Zur Zeit ist nur ein Aussetzen in eine stabile Umlaufbahn möglich. Es ist daher ausgeschlossen, dass die Signale unsere Stationen erreichen."
"Ich weiß. Ich gehe jedoch davon aus, dass unser Verschwinden inzwischen registriert worden ist und dass entsprechende Nachforschungen laufen. Vielleicht passiert auch eines unserer Schwesterschiffe diese Raum-Falte oder was immer das ist, was uns hierher verschlagen hat. Programmiere die Boje auf jeden Fall so, dass sie in den Hyperraum beschleunigt, sobald die Energieunterbrechung beseitigt ist."
Über den Bildschirm begann Nig die Informationen über den Planeten und das Sonnensystem abzurufen, die inzwischen gesammelt worden waren.
Demnach gehörte der Planet zusammen mit sieben anderen einschließlich zahlreicher Monde zu einer Sonne 4. Größe. Er besaß eine atembare Atmosphäre und keine lebensfeindlichen Temperaturen, trotz erheblicher jahreszeitlicher Schwankungen. Nach den zur Zeit vorliegenden Daten herrschten im vorgesehenen Landegebiet für Menschen fast ideale Bedingungen.
\'Die Situation ist zwar prekär, aber es hätte alles noch viel schlimmer kommen können\', dachte Nig, als die Erschütterungen der oberen Atmosphäre das Schiff zu schütteln begannen und ein weiterer Datenabruf schwierig wurde. Auch wenn er keine Hilfe von den Begleitschiffen bekommen sollte: Er musste nur die Energieversorgung wieder herstellen, dann konnte er sich auf den Weg zurück machen. Die Entfernung bis zu den besiedelten Welten der Föderation war zwar immens, aber mit seinem für die Überwindung extremer Entfernungen ausgerüsteten Schiff durchaus zu schaffen, auch wenn es eine sehr lange Reise werden würde. Er lehnte sich zurück und verfolgte auf dem Monitor, wie sich die Konturen der Planetenoberfläche herauszukristallisieren begannen.

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