Das Untier

M

Max

Guest
"Ich- ich musste so handeln"
Er besaß immer noch die Imposanz einer Statue.
Doch fühlten sich die Speichellecker und Prügelknaben unbeobachtet, so spuckten sie auf diese Statue und traten sie.
Nun war er angreifbar, denn das Elend hatte auf ihn abgefärbt. Aber niemand nutzte diese Situation aus. Das lag aber nicht an Loyalität, Vertrauen, oder auch nur an der Taktik, den Stoß im richtigen Moment ausführen zu wollen.
Sie waren feige.
Wieder holte der alte Mann von neuem aus.
"Was hätten Sie denn getan?" fragte er den erstbesten, den seine wirren Blicken fixieren hatten können.
Zunächst schien dieser auf beinahe sportliche Weise frustriert. Ausgerechnet er musste sich mit dieser Frage konfrontiert sehen, und das, obwohl er seit Minuten alles getan hatte, um die intellektuelle Wirkung einer Blumenvase zu verströmen. Dann stieg Panik in ihm auf, denn als er die Aggressivität die im Raum lag spürte, wurde er plötzlich vom Stilleben zum einzigen Bein-amputierten Kaninchen auf dem Feld, dem nur noch die Hoffnung blieb, das Raubtier würde spontan zur vegetarischen Lebensweise wechseln.
"In dieser Situation..." begann er vorsichtig.
"In dieser Situation..." wiederholte der Alte und der Gefragte wähnte sich noch einmal davongehumpelt. Dann brach wieder die alte Intensität hervor. Doch deutlich war jedes Wort von Labilität durchtränkt, denn jede Silbe kämpfe darum, ausgesprochen zu werden. "In dieser Situation! Sie wissen doch gar nicht in welcher Lage ich mich befand; alle Leute dort."
Er sackte etwas in sich zusammen und starrte auf seine Händen. Verkrampft waren sie in einer Haltung eingefroren, als habe er im Sinne gehabt die Fäuste zu ballen und krallte jetzt doch nur ins Leere.


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"Ich musste so handeln" sagte er nun scheinbar gefasster, nachdem der Adressat seiner Botschaft ein vollkommen anderer war.
"Hätten Sie das erlebt, das gesehen, was ich dort sah; die Not, das Elend jedes einzelnen...", er machte eine Pause, dachte nach. Dann, den Blick gesenkt, fuhr er mit der Zunge rasch über die trocken gewordenen Lippen. Verkrampft atmete er zweimal hastig ein und sprach.
"... jedes einzelnen; auch dieser armen Kreatur."
"Und da wollte sie 'dieser armen Kreatur' helfen?" wurde er gefragt.
"Ja! Ich sah doch ...", aber mit diesem Anschluss ging es nicht weiter uns so begann er von neuem, "Ich packte zu, am Hals und am Kopf und dann..."
Es ging hier nicht um die Überführung des Mörders oder um die Ausführung des Mordes. Zeugen gab es genug. Genauso wenig spielte das Motiv eine Rolle, denn über eine lange Zeit hatte sich eine Person verändert, oder war das geblieben, was sie immer war und handelte nun unter veränderten Bedingungen, ohne dass den Beobachtern dieser Wandel verborgen geblieben sein konnte. Doch niemand hatte gehandelt.
Als er die Sätze sprach war er immer näher an sein Gegenüber getreten. Dabei war sein Minenspiel, überladen von Erinnerungen, immer grotesker geworden. Nun kehrte wieder mehr Ruhe ein, aber er hoffte, er habe den richtigen Eindruck erweckt.
Ein Untier wollte er sein.
"Ich habe es doch erreicht: Ich habe Aufmerksamkeit geschaffen. Wie sollen die jetzt noch das Leiden dieser armen Geschöpfe ignorieren?"
 
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