M
Max
Guest
Mit wachsender Sorge - [1/5]
Erst Minuten nach dem Abheben tauchte die angestrahlte Seite des Mondes als schmale Sichel auf. Das Transportshuttle flog in niedriger Höhe über die Kraterlandschaft, die lediglich durch einzelne Positionslichtern Kontur gewann.
Da erschien die Erde. Immer wieder war sie erstaunt darüber, wie rasch die Dunkelheit stets schwand. Aber sobald der Pilot das Sternenflotten-Vehikel hochzog, um auf die Anflugbahn zu wechseln, öffnete sich das Panorama weit und gab die Sicht auf die großen, blau-grünen Wassermassen und die beigen Kontinente frei. Das Shuttle beschleunigte weiter, ließ schließlich den Trabanten hinter sich. Beim Eintritt in die Atmosphäre sah sie dem Piloten über die Schulter. Ohne die genauen Funktionen zu wissen, erkannte sie die Leuchtanzeigen, die in gewohntem Muster aufleuchteten und wieder erloschen. Nur die bernsteinfarbene Fläche, die auf einmal heftig aufzuflackern begann, war ihr noch nie aufgefallen.
--
»Konnten Sie fertig essen?« fragte Commodore Aaron Lehl seinen Attaché Burges.
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
Lehl wanderte etwas auf und ab, langsam und sich in der finsteren Höhle vorantastend. Unter seinen Schuhen knirrschte Sand und feines Gestein. Mit der Hand bemerkte er einen kleinen Verschlag an der linken Seite des Verließes.
»Hier scheint die Höhle weiter zu gehen«, kommentierte er seine Entdeckung. »Wer weiß, wo sie hinführt.« Burges schwieg. Etwa vier Meter folgte Lehl der Wand, die dann einen Bogen nach rechts erfuhr. »Wahrscheinlich nichts weiter als eine kleine Nische. Burges? Sind sie noch da?«
»Ja, Commodore« Burges hing mit den Armen über dem Metallgitter, das das natürliche Gefängnis nach vorne abschloss. Er lauschte in die Dunkelheit, vernahm aber nur die einzelnen Schritte Lehls, der seinen kleinen Rundgang inzwischen beendet hatte.
»Vielleicht dreißig, vierzig Quadratmeter. Gegen Skelette bin ich nicht gestoßen.«
»Immerhin lassen sie ihre Gefangenen nicht verhungern«, meinte Burges matt.
»Ich frage mich, was schief gelaufen ist!«
»Ich weiß es nicht.« Burges schüttelte den Kopf; eine Gestik, die in der Finsternis freilich ein unbeachteter Reflex blieb. »Ich unterhielt mich gerade mit meiner Tischnachbarin. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist sie die Ministerin für Agrarkunst.«
»Agrarkunst?« hakte Lehl nach.
»Ja, das war jedenfalls das Ergebnis, zu dem das Übersetzungsgerät gekommen war. Und sie ist soetwas wie eine Vizekönigin.«
»Burges, ich fürchte fast, die Dienste des Übersetzers könnten Schuld an unserer Misere sein.«
»Dann ist es vielleicht gar nicht von Nachteil, dass sie uns alle Geräte abgenommen haben. Vielleicht bietet sich die Chance für einen Neuanfang, falls uns die Wärter abholen.« Wieder trug der Attaché seine Worte bizarr leblos vor, sodass sich die aufmunternde Wirkung verlor und zur tragischen Ironie zu verkommen drohte. Beiden gelang es nur bedingt, die Anspannung in den Hintergrund zu drängen.
»Konnten Sie etwas an den Reaktionen der Ministerin erkennen? Eine außergewöhnliche Mimik? Ich weiß, wir sind gefangen, nicht nur hier, sondern auch in unseren eignen Normen und Erwartungen. Aber dieses Volk schien mir eigentlich uns ähnlich genug, um Interpretationen und Vermutungen anzustellen.«
»Mir fiel nichts auf. Ich war bemüht, sie zu den Gesprächen zu leiten, die ihr angenehm waren. Ihre Mimik blieb jedenfalls die ganze Zeit über freundlich.«
»Bei mir war es genauso. Der Monarch scheint eine umgängliche Person zu sein. Bis zum Kern unserer Verhandlungen bin ich noch nicht vorgedrungen, aber so etwas benötigt ohnehin mehr Zeit. In Anbetracht unserer Lage müssen wir am wechselseitigen Vertrauen noch arbeiten. Halten wir also fest: Falls wir in unseren Gesprächen einen Fauxpas begingen, fiel es uns nicht direkt auf.«
»Wissen Sie, wer für unsere Abholung gesorgt hat, Commodore?«
»Nein, plötzlich standen Wachen hinter mir. Eine direkte Order des Königs dürfte es aber nicht gewesen sein, das hätte ich gehört. Oder ist das ein Volk von Telepathen?«
Jacques Burges schüttelte den Kopf.
»Burges?«
»Ach so – nein, nein, in den Informationen stand nichts von nonverbaler Kommunikation dieser Ebene. Die Ministerin sah plötzlich zum Eingang der Festhalle. Dort stand dieser große Mann mit dem auffälligen Hut.«
»Der Zeremonienmeister?« meinte Lehl.
»Ja. Mein Übersetzungsgerät nannte ihn den Minister für rituelle Handschläge.«
»Was ist mit ihm?«
»Ich glaube, er sprach kurz vor unserer Verhaftung mit einer kleinen Frau und diese Frau stand wiederum bei den Wachen, als wir die Halle betraten.«
Lehl dachte kurz nach.
»Die Gastgeschenke. Sie gingen nicht direkt zum Zeremonienmeister, sondern wurden über Diener und Festgäste nach und nach weiter gereicht.«
»Also erhielt er sie erst, als wir bereits den ersten Gang einnahmen...«
»Irgendetwas muss ihm missfallen haben. Was hatten wir an Gaben zusammengestellt?«
»Ganz dem diplomatischen Empfehlungen folgend nur Dinge, bei denen wir davon ausgehen konnten, dass sie die richtige Botschaft vermitteln würden: Dieses Volk hat ein Gespür für Kultur, deswegen repräsentierte ein Bild von Monet die Kunst. Eine bunte Robe für den Kleiderschrank des Königs...«
»Ja! Aber dass es daran gelegen hat, glaube ich nicht. Ich sah, wie der König sie direkt an seinen Kammerdiener übergeben hat – mit einem Lächeln.«
»Mit Früchten hielten wir uns zurück. Zwar spielt die Landwirtschaft hier eine große Rolle, aber in Ermangelung genauer medizinischer Kenntnisse wollten wir nicht riskieren, unsere Gastgeber zu vergiften.«
»So richtig hätte ich ihr Essen auch erst nach einem Scan genießen können. Fahren sie fort, Burges.«
»Und als Wertsache: Ein Plättchen Gold. Der Planet ist arm an Edelmetallen.«
»Ah!« Lehls Interesse war geweckt. »Wir gingen davon aus, ihnen etwas Gutes zu tun, indem wir ihnen eine solche Seltenheit überreichen. Vielleicht beeindruckte es Diener und Gäste, wohl auch den König und die Minister, doch der Zeremonienmeister störte sich daran. Es könnte mir rituellen Besonderheiten zusammenhängen.«
»Möglich. Zumindest haben wir jetzt schon einen Ansatz. Aber, Commodore, wir brauchen einen Plan. Unser Routineruf zum Schiff ist nun mindestens schon zwei Stunden überfällig. Das dichte Gestein verhindert einen Transport, aber sobald wir an die Oberfläche kommen, wird Commander Himer uns aufs Schiff holen.«
»Ja, falls wir wieder auf die Oberfläche kommen. Die hintere Höhlennische ist klein, aber wir könnten uns dort verstecken.«
»Und die Wachen überwältigen?« fragte Burges nach.
»Ja. Aber eine ziemlich unsichere Sache, das gebe ich zu. Die Wachleute maßen mindestens zweieinhalb Meter. Und durch einen aggressiven Ausbruchsversuch erreichen wir nichts weiter als eine Verschärfung der Lage.«
Lehl und sein Attaché hörten Rieseln von Steinchen.
Burges war versucht, es zu kommentieren, die Ankunft der Wächter zu vermuten. Doch er hielt sich zurück, als Lehl ihn fast lautlos zurück in den Verschlag der Höhle zog.
Aus der Ferne war das Schimmern einer schwachen Lampe mehr zu fühlen als zu sehen, so sehr waren beide Männer durch die Finsternis wie an den Sinnen betäubt.
»Die Herren Aaron Lehl, Jacques Burges...« rief eine dunkle Stimme.
Doch die beiden Sterenflottenoffiziere schwiegen.
Metall einer Sichelklinge reflektierte kühles Licht in die Nische. Lehl sah es einen Moment an. Dann stand er auf. Burges’ Arm zuckte an seinem Ellbogen nach, doch sein Attaché hielt ihn nicht auf.
»Hier«, sagte der Commodore trocken.
Zwei Wachen standen im Verlies, hielten je eine Lampe und Klingenwaffen in der Hand.
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Erst Minuten nach dem Abheben tauchte die angestrahlte Seite des Mondes als schmale Sichel auf. Das Transportshuttle flog in niedriger Höhe über die Kraterlandschaft, die lediglich durch einzelne Positionslichtern Kontur gewann.
Da erschien die Erde. Immer wieder war sie erstaunt darüber, wie rasch die Dunkelheit stets schwand. Aber sobald der Pilot das Sternenflotten-Vehikel hochzog, um auf die Anflugbahn zu wechseln, öffnete sich das Panorama weit und gab die Sicht auf die großen, blau-grünen Wassermassen und die beigen Kontinente frei. Das Shuttle beschleunigte weiter, ließ schließlich den Trabanten hinter sich. Beim Eintritt in die Atmosphäre sah sie dem Piloten über die Schulter. Ohne die genauen Funktionen zu wissen, erkannte sie die Leuchtanzeigen, die in gewohntem Muster aufleuchteten und wieder erloschen. Nur die bernsteinfarbene Fläche, die auf einmal heftig aufzuflackern begann, war ihr noch nie aufgefallen.
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»Konnten Sie fertig essen?« fragte Commodore Aaron Lehl seinen Attaché Burges.
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
Lehl wanderte etwas auf und ab, langsam und sich in der finsteren Höhle vorantastend. Unter seinen Schuhen knirrschte Sand und feines Gestein. Mit der Hand bemerkte er einen kleinen Verschlag an der linken Seite des Verließes.
»Hier scheint die Höhle weiter zu gehen«, kommentierte er seine Entdeckung. »Wer weiß, wo sie hinführt.« Burges schwieg. Etwa vier Meter folgte Lehl der Wand, die dann einen Bogen nach rechts erfuhr. »Wahrscheinlich nichts weiter als eine kleine Nische. Burges? Sind sie noch da?«
»Ja, Commodore« Burges hing mit den Armen über dem Metallgitter, das das natürliche Gefängnis nach vorne abschloss. Er lauschte in die Dunkelheit, vernahm aber nur die einzelnen Schritte Lehls, der seinen kleinen Rundgang inzwischen beendet hatte.
»Vielleicht dreißig, vierzig Quadratmeter. Gegen Skelette bin ich nicht gestoßen.«
»Immerhin lassen sie ihre Gefangenen nicht verhungern«, meinte Burges matt.
»Ich frage mich, was schief gelaufen ist!«
»Ich weiß es nicht.« Burges schüttelte den Kopf; eine Gestik, die in der Finsternis freilich ein unbeachteter Reflex blieb. »Ich unterhielt mich gerade mit meiner Tischnachbarin. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist sie die Ministerin für Agrarkunst.«
»Agrarkunst?« hakte Lehl nach.
»Ja, das war jedenfalls das Ergebnis, zu dem das Übersetzungsgerät gekommen war. Und sie ist soetwas wie eine Vizekönigin.«
»Burges, ich fürchte fast, die Dienste des Übersetzers könnten Schuld an unserer Misere sein.«
»Dann ist es vielleicht gar nicht von Nachteil, dass sie uns alle Geräte abgenommen haben. Vielleicht bietet sich die Chance für einen Neuanfang, falls uns die Wärter abholen.« Wieder trug der Attaché seine Worte bizarr leblos vor, sodass sich die aufmunternde Wirkung verlor und zur tragischen Ironie zu verkommen drohte. Beiden gelang es nur bedingt, die Anspannung in den Hintergrund zu drängen.
»Konnten Sie etwas an den Reaktionen der Ministerin erkennen? Eine außergewöhnliche Mimik? Ich weiß, wir sind gefangen, nicht nur hier, sondern auch in unseren eignen Normen und Erwartungen. Aber dieses Volk schien mir eigentlich uns ähnlich genug, um Interpretationen und Vermutungen anzustellen.«
»Mir fiel nichts auf. Ich war bemüht, sie zu den Gesprächen zu leiten, die ihr angenehm waren. Ihre Mimik blieb jedenfalls die ganze Zeit über freundlich.«
»Bei mir war es genauso. Der Monarch scheint eine umgängliche Person zu sein. Bis zum Kern unserer Verhandlungen bin ich noch nicht vorgedrungen, aber so etwas benötigt ohnehin mehr Zeit. In Anbetracht unserer Lage müssen wir am wechselseitigen Vertrauen noch arbeiten. Halten wir also fest: Falls wir in unseren Gesprächen einen Fauxpas begingen, fiel es uns nicht direkt auf.«
»Wissen Sie, wer für unsere Abholung gesorgt hat, Commodore?«
»Nein, plötzlich standen Wachen hinter mir. Eine direkte Order des Königs dürfte es aber nicht gewesen sein, das hätte ich gehört. Oder ist das ein Volk von Telepathen?«
Jacques Burges schüttelte den Kopf.
»Burges?«
»Ach so – nein, nein, in den Informationen stand nichts von nonverbaler Kommunikation dieser Ebene. Die Ministerin sah plötzlich zum Eingang der Festhalle. Dort stand dieser große Mann mit dem auffälligen Hut.«
»Der Zeremonienmeister?« meinte Lehl.
»Ja. Mein Übersetzungsgerät nannte ihn den Minister für rituelle Handschläge.«
»Was ist mit ihm?«
»Ich glaube, er sprach kurz vor unserer Verhaftung mit einer kleinen Frau und diese Frau stand wiederum bei den Wachen, als wir die Halle betraten.«
Lehl dachte kurz nach.
»Die Gastgeschenke. Sie gingen nicht direkt zum Zeremonienmeister, sondern wurden über Diener und Festgäste nach und nach weiter gereicht.«
»Also erhielt er sie erst, als wir bereits den ersten Gang einnahmen...«
»Irgendetwas muss ihm missfallen haben. Was hatten wir an Gaben zusammengestellt?«
»Ganz dem diplomatischen Empfehlungen folgend nur Dinge, bei denen wir davon ausgehen konnten, dass sie die richtige Botschaft vermitteln würden: Dieses Volk hat ein Gespür für Kultur, deswegen repräsentierte ein Bild von Monet die Kunst. Eine bunte Robe für den Kleiderschrank des Königs...«
»Ja! Aber dass es daran gelegen hat, glaube ich nicht. Ich sah, wie der König sie direkt an seinen Kammerdiener übergeben hat – mit einem Lächeln.«
»Mit Früchten hielten wir uns zurück. Zwar spielt die Landwirtschaft hier eine große Rolle, aber in Ermangelung genauer medizinischer Kenntnisse wollten wir nicht riskieren, unsere Gastgeber zu vergiften.«
»So richtig hätte ich ihr Essen auch erst nach einem Scan genießen können. Fahren sie fort, Burges.«
»Und als Wertsache: Ein Plättchen Gold. Der Planet ist arm an Edelmetallen.«
»Ah!« Lehls Interesse war geweckt. »Wir gingen davon aus, ihnen etwas Gutes zu tun, indem wir ihnen eine solche Seltenheit überreichen. Vielleicht beeindruckte es Diener und Gäste, wohl auch den König und die Minister, doch der Zeremonienmeister störte sich daran. Es könnte mir rituellen Besonderheiten zusammenhängen.«
»Möglich. Zumindest haben wir jetzt schon einen Ansatz. Aber, Commodore, wir brauchen einen Plan. Unser Routineruf zum Schiff ist nun mindestens schon zwei Stunden überfällig. Das dichte Gestein verhindert einen Transport, aber sobald wir an die Oberfläche kommen, wird Commander Himer uns aufs Schiff holen.«
»Ja, falls wir wieder auf die Oberfläche kommen. Die hintere Höhlennische ist klein, aber wir könnten uns dort verstecken.«
»Und die Wachen überwältigen?« fragte Burges nach.
»Ja. Aber eine ziemlich unsichere Sache, das gebe ich zu. Die Wachleute maßen mindestens zweieinhalb Meter. Und durch einen aggressiven Ausbruchsversuch erreichen wir nichts weiter als eine Verschärfung der Lage.«
Lehl und sein Attaché hörten Rieseln von Steinchen.
Burges war versucht, es zu kommentieren, die Ankunft der Wächter zu vermuten. Doch er hielt sich zurück, als Lehl ihn fast lautlos zurück in den Verschlag der Höhle zog.
Aus der Ferne war das Schimmern einer schwachen Lampe mehr zu fühlen als zu sehen, so sehr waren beide Männer durch die Finsternis wie an den Sinnen betäubt.
»Die Herren Aaron Lehl, Jacques Burges...« rief eine dunkle Stimme.
Doch die beiden Sterenflottenoffiziere schwiegen.
Metall einer Sichelklinge reflektierte kühles Licht in die Nische. Lehl sah es einen Moment an. Dann stand er auf. Burges’ Arm zuckte an seinem Ellbogen nach, doch sein Attaché hielt ihn nicht auf.
»Hier«, sagte der Commodore trocken.
Zwei Wachen standen im Verlies, hielten je eine Lampe und Klingenwaffen in der Hand.
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